MÖRIKE LIEDER

Um Mitternacht

Gelassen stieg die Nacht an's Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, in's Ohr
Vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet's nicht, sie ist es müd';
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flüchtgen Stunden gleichgeschwung'nes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

 

Nimmersatte Liebe

So ist die Lieb'! So ist die Lieb'!Mit Küßen nicht zu stillen:
Wer ist der Tor und will ein Sieb
Mit eitel Wasser füllen?
Und schöpfst du an die tausend Jahr;
Und küßest ewig, ewig gar,
Du tust ihr nie zu Willen.

Die Lieb', die Lieb' hat alle Stund'Neu wunderlich Gelüsten;
Wir bißen uns die Lippen wund,
Da wir uns heute küßten.
Das Mädchen hielt in guter Ruh',
Wie's Lämmlein unter'm Messer;
Ihr Auge bat: nur immer zu,
So ist die Lieb', und war auch so,Wie lang es Liebe giebt,
Und anders war Herr Salomo,
Der Weise, nicht verliebt.

 

Lied vom Winde

Sausewind, Brausewind!Dort und hier!
Deine Heimat sage mir!

"Kindlein, wir fahrenseit viel vielen Jahren
durch die weit weite Welt,
und möchten's erfragen,
die Antwort erjagen,
bei den Bergen, den Meeren,
bei des Himmels klingenden Heeren,
die wissen es nie.
Bist du klüger als sie,
Magst du es sagen.
Fort, wohlauf!
Halt' uns nicht auf!
Kommen andre nach, unsre Brüder,
Da frag' wieder.

Halt' an! Gemach,Eine kleine Frist!
Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
Ihr Anfang, ihr Ende?

"Wer's nennen könnte! Schelmisches Kind,
Lieb' ist wie Wind,
Rasch und lebendig,
Ruhet nie,
Ewig ist sie,
Aber nicht immer beständig.
Fort! Wohlauf!
Halt' uns nicht auf!
Fort über Stoppel und Wälder und Wiesen!
Wenn ich dein Schätzchen seh',
Will ich es grüßen.
Kindlein, Ade!

Lebewohl

Lebe wohl! - Du fühlest nicht,Was es heißt, dies Wort der Schmerzen;
Mit getrostem Angesicht
Sagtest du's und leichtem Herzen.

Lebe wohl! - Ach! tausendmalHab' ich mir es vorgesprochen,
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen!

 

Jung Volker (Gesang der Räuber)

Jung Volker, das ist unser Räuberhauptmann,Mit Fiedel und mit Flinte,
Damit er geigen und schießen kann,
Nach dem just Wetter und Winde.
Fiedel und die Flint,
Fiedel und die Flint!
Volker spielt auf.

Ich sah ihn hoch im SonnenscheinAuf einem Hügel sitzen:
Da spielt er die Geig und schluckt roten Wein,
Seine blauen Augen ihm blitzen.
Fiedel und die Flint,
Fiedel und die Flint!
Volker spielt auf.

Auf einmal, er schleudert die Geig in die Luft,Auf einmal, er wirft sich zu Pferde:
Der Feind kommt!
Da stößt er ins Pfeifchen und ruft.
»Brecht ein, wie der Wolf in die Herde!«
Fiedel und die Flint!
Volker spielt auf.

 

Der Feuerreiter

Sehet ihr am FensterleinDort die rote Mütze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewühle
Bei der Brücke nach dem Feld!
Horch! das Feuerglöcklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!

Schaut, da sprengt er wütend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein, durch Qualm und Schwüle,
Rennt er schon und ist am Ort!
Drüben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Mühle!

Der so oft den roten HahnMeilenweit von fern gerochen,
Mit des heil'gen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! dir grinst vom Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg,
Rast er in der Mühle!

Keine Stunde hielt es an,Bis die Mühle borst in Trümmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewühle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg,
Brennt's!

Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen:
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt's in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Mühle!

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